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Chun Hyang ... und die Wege der Liebe
Chun Hyang
... und die Wege der Liebe
Erzählung, Gesang, Musik
in Deutsch und Koreanisch nach der gleichnamigen koreanischen Erzählung im Stil des Epengesangs PANSORI
Premiere: 10. September 1995 WERKSTATT DER KULTUREN Berlin
Regie, Dramaturgie | Dietmar Lenz |
Text | Dietmar Lenz |
Licht | Martin Oestreich |
Erzählerin, Sängerin | Soogi Kang |
Percussion | Il-Ryun Chung |
Kontrabass | Hans Hartmann |
Fotos | Theater Salpuri |
CHUN HYANG ist eine der beliebtesten Volkserzählungen in Korea.
Erzählt wird von dem überirdisch schönen Mädchen Chun Hyang („Frühlingsduft“). Sie ist die Tochter einer Gisaeng (jap. Geisha), eine jener Unerhaltungsdamen, die, obwohl sie gebildet waren in Literatur, Musik, Tanz und Gesang, damit sie die Lustdamen der Aristokraten werden konnten, sozial geächtet wurden. Chun Hyang, in ihrem zarten Alter schon gerühmt für ihre Künste, verliebt sich in Myong Nyong, den Sohn des Gouverneurs. Beide versprechen sich trotz trennender Standesunterschiede heimlich die Ehe. Doch da wird Myong Nyongs Vater, zum Schatzmeister des Königs ernannt, in die Hauptstadt versetzt und die Liebenden müssen sich trennen. Der neue Gouverneuer, grausam und skrupellos, zwingt Chun Hyang seine Konkubine zu werden. Trotz Folter und Kerker bleibt diese jedoch ihrem Geliebten treu.
Inzwischen besteht Myong Nyong in der Hauptstadt die Staatsprüfungen mit Bravour, wird zum königlichen Geheiminspektor ernannt und kehrt, verkleidet als Bettler, in seine Provinz zurück. Hier rettet er Chun Hyang vor der ihr drohenden Hinrichtung, entmachtet den despotischen Gouverneur und lässt sich, an der Seite seiner Geliebten, zum Gouverneur des Distrikts Namwon ernennen.
Pansori heißt wörtlich, ein Liedgesang, Sori, an einem zur Unterhaltung bestimmten Ort, Pan. Er wird vorgetragen von einem/einer Sänger/Sängerin, begleitet von einem Trommler, die virtuosesten Rhythmen auf einer Fasstrommel, Puk, spielend.
Dramatischer Epengesang, Stimmakrobatik auf dem Register der Gefühlswelten, schreiend singende Seele, Stimme der Dunkelheit und des Lichts, Jazzgesang der Unterwelten...: all das, und mehr, mag man assoziieren, wenn man die Kunst des dramatisierten Liedes PANSORI aus Korea zum Ersten mal hört.
Diese Solo-Musikdramaform, die noch heute regen Zuspruch in Korea erlebt, gehört mit zu den interessantesten Darstellungskünsten in der Welt. Seit 2003 wird diese Art Mono Oper zum UNESCO Weltkulturerbe gezählt. Das Publikum lachen und weinen machen, es in jedem Augenblick zu fesseln, das Ziel jedes PANSORI Vortrages, geschieht mit einer einzigartigen Stimmvirtuosität. Dabei wechseln sich erzählende, Aniri, rezitativische, Song-um, und gesungene, Sori, Abschnitte ab. Der Künstler muss mit seiner Stimme fähig sein, die tausend Gipfel der Diamantberge sehen zu lassen, heißt es in einem traditionellen Kompendium für Pansori-Sänger. Wobei hier eine raue und kraftvolle Stimme, Sori Song, gegenüber einer glatten Belcantostimme bevorzugt wird, da diese eine viel größere Ausdrucksstärke hat, so die Meinung der Künstler dieser Balladenkunst.
Wir präsentieren die Geschichte von CHUN HYANG in einer Montage aus erzählenden Teilen in Deutsch und gesungenen Liedern in Koreanisch im Stil des PANSORI, zu einer Musik, die in der Begegnung von traditionell koreanischen Pansori-Rhythmen auf den koreanischen Trommeln Chang-Go und Puk mit westeuropäischer Jazzmusik eine Synthese von östlichen und westlichen Klangwelten sucht.
Zwischen tragischem Bardengesang, epischem Lied und Jazzgesang ist diese Vortragskunst Klagegesang, Satire, Erzählung, Gebet und Ballade, um im nächsten Moment Mania zu sein, die zu ekstatischem Lied sich wandelt.
„Voices from the straw mat“
Jahrhunderte lang gehörte die ergreifende Liebesgeschichte über Chun Hyang zum Repertoire der Kwangdae, der Gaukler und Wanderschauspieler Koreas. Diese trugen ihre Geschichten meist auf den Plätzen der Dörfer und Städte in einer Art Epengesang vor. Als Bühne lediglich eine Strohmatte und als Spielrequisit für den Erzähler ein Fächer, bedienten sie sich großzügig, wie viele Künstler der oral literatur, der Mythen, Märchen und Geschichten ihres jeweiligen Publikums. Die Wurzeln dieses Epengesangs findet man in der religiösen Praxis des Schamanismus Koreas, in der noch heute die gesungene Erzählung einen zentralen Bestandteil bildet.
Im 17./18. Jahrhundert entdeckte die Aristokratie diese Vortragskunst für sich und suchte diese ihrem konfuzianistisch geprägten Literatur- und Musikideal anzupassen.
"Nachdem ich lange Zeit unzählige Aufführungen der Volkskunst Pansori gesehen und gehört habe, fand ich jede Menge unlogischer Passagen in den Geschichten und obszöne Worte. Was kann man anderes erwarten von der Klasse der Kwangdae (Gaukler, Unterhaltungskünstler)? Viele können nicht einmal die chinesischen Klassiker lesen. Sie verdrehen hohe und tiefe Noten, schreien und jammern wie die Verrückten. Dazu schütteln sie ihre Köpfe, rollen mit den Augen und führen sich so wild auf, dass ich es nicht ertragen kann. " (Aus einem Brief von Chon, Hyon-Suk, ein Aristokrat zu Beginn des 19. Jahrhunderts.)
So wurden die Texte sprachlich geändert, Zitate aus der klassischen Dichtung eingefügt und durch ein Mäzenatentum erhielten einzelne Künstler die Möglichkeit, ihre Kunst derart zu verfeinern, dass sie sogar am königlichen Hofe Anerkennung fand.
In einer kunsttheoretischen Reflexion über Pansori, die selbst als Lied vorgetragen wurde, aus Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, heißt es :
"Dramatische Darstellung bedeutet, viel Geschmack und Anmut zu haben beim Wechsel der verschiedensten Rollen : einmal eine Fee, dann ein Geist zu sein; romantische wie tapfere Gemüter, Männer wie Frauen, Alte wie Junge, Komische und Traurige darzustellen. ... Die Stimme unter Einsatz des gesamten Körpers erschallen zu lassen. ... Die Kunst des Erzählens verlangt, eine Geschichte klar wie feines Gold und hübsche Jadesteine vorzutragen; die Worte auszuschmücken, als ob eine schöne Dame, mit allen sieben Juwelen angetan, hinter einem Wandschirm hervortritt, wie wenn der Vollmond hinter den Wolken erscheint."
„Diesen Geist Eurer Kunst, den können wir nicht töten.“
Han Seung-Ho (geb. ca. 1910), seit seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr Pansori- Sänger, berichtet, dass er während der japanischen Kolonialherrschaft über Korea (1910 - 1945), in der z. Bsp. koreanische Geschichte als Lehrfach gestrichen wurde und in Schulen und auf öffentlichen Plätzen japanisch gesprochen werden musste, in einer Truppe zur Unterhaltung unter der Leitung japanischer Offiziere durch das Land reiste mit der Aufgabe, seine Landsleute zu trösten, die in Arbeitslagern die Bodenschätze Koreas für ihre Kolonialherren abzubauen hatten.
Diese koreanischen Künstler (Sänger, Tänzer und Schauspieler) gaben eines Tages in der Mandschurei für ihre Landsleute eine Darbietung, in der sie im ersten Teil eher zeitgenössische Schlager zum Besten gaben. Das Publikum sei amüsiert gewesen, „aber auch nicht mehr“, so Han, Seung-So. Im zweiten Teil des Abends wurden Ausschnitte aus Pansori-Liedern dargeboten. Das Publikum fing an zu lachen, zu weinen, „es tobte und wogte“, es wollte die Sänger nicht mehr gehen lassen. „Bühne und Zuschauer schienen eine einzige Welle“. Am folgenden Morgen sprach einer der japanischen Offiziere zu Han Seung-Ho: „Wir können jeden einzelnen Koreaner töten, doch diesen Geist Eurer Kunst, den können wir nicht töten.“
Mit Unterstützung des Senators für kulturelle Angelegenheiten Berlin 1995 und WERKSTATT DER KULTUREN Berlin. Dank an Theaterforum Kreuzberg Berlin, Dr. Klock und Nina Korn.